Copyright: 2016 Jordi Rodríguez-Amat

Dieser Text ist in der Abteilung für Kultur der Katalanische Regierung registriert worden.

Der Traum meines Schicksals

Für J.P.R.

 

Die langen, kurvenreichen Wege waren steinig, voll von Giftschlangen, Skorpionen und Eidechsen, aber mein Geist war hellwach. Entlang der Route, Hermes’ Führung folgend, fand ich Hirten, Zauberer, Verrückte, Tempel, Götter und Göttinnen. Irgendwo reichte mir Aphrodite, dem Schaum des Meeres entsteigend, die Hand und begleitete mich auf einer Strecke meiner Reise. Zur gleichen Zeit lehrte sie mich die Kunst der Liebe. Später erschien Aiolos, der Gott des Windes, und brachte mich Arm in Arm mit Odysseus nach Ithaka. Unterwegs führte mich meine wollüstige Fantasie durch ein Paradies von Licht und Gnade.

Auf meiner phantastischen Wanderung, begleitet von meinem Doppelgänger, beleuchtete der Atem des Weges mein schweißnasses Gesicht, während Helios es leicht bräunte. Ich machte eine Pause, um den Traum zu genießen, der mich vielleicht schließlich die Weissagung des Orakels wissen lassen könnte.

Vor mir, majestätisch und strahlend, lag der Gipfel des Parnass’, während mein Schöpfergeist die Texte der vielen Dichter sang, die jahrhundertelang mit göttlicher Inspiration gesegnet waren. Leise übermannte mich der Traum wieder, und ich ließ mich von Apollo und Dionysos vereinnahmen. Das Licht verblasste, und ihr Bild erschien klar und transparent. Sie bewegten sich zu verschiedenen Rhythmen, sich die Hände reichend oder sich trennend. Es war das wunderbare Spiel eines erst rhythmischen, dann hektischen Tanzes. Zwischen Lorbeer- und Olivenbäumen, in harmonischem Konzert mit den Musen, bewegte sich Apollo geschmeidig durch den Hain. Es war der Triumph der ruhigen Schönheit, die perfekte Balance zwischen Körper und Geist. Dionysos dagegen, vollführte mit heftigen Gesten einen verrückten, orgiastischen Tanz, von Satyren und Bacchantinnen umgeben. Als ich endlich die Augen aufschlug, sah ich um mich herum Nymphen und Musen im Rhythmus meines Herzschlags tanzen.

Ich überquerte den Golf von Korinth, und in der Nähe der Landenge südlich des Parnass’ erschien majestätisch Delphi. Ich sah die Göttin Gäa ganz in Gedanken an ihren Sohn Uranus auf einer Bank aus dunklem Stein sitzen. Von hier aus konnte ich den eindrucksvollen und prächtigen Tempel des Apollo sehen mit seinem Peristyl aus dorischen Säulen ohne Basis und der Inschrift "Erkenne dich selbst !" Nicht weit davon übte eine Gruppe von Wagenlenkern für die Spiele.

Als ich mich dem Tempel näherte, bemerkte ich Apollo. Als er mich sah, legte er die Lyra beiseite und empfing mich an der Schwelle des Tempels. Welche Schönheit! Eine Aura von Musik und Poesie umgab ihn. Er lud mich ein, an seiner Seite zu sitzen, und führte mich in die Kunst der Poesie und Musik ein. Er berichtete mir von Zeus, seinem Vater, und von Artemis, seiner Zwillingsschwester. Und in der virtuellen Welt begannen wir eine lange Reise durch Hellas. Wir trafen Odysseus, Homer und Orpheus mit seiner Zither. Wir stiegen in den Hades hinab und wanderten nach Mykene. Ich verliebte mich in die schöne Helena. Einen Moment träumte ich, Paris zu sein. Und der Wunsch, Helena zu entführen, erfasste mich. In Troja schlüpfte ich in die Rolle von Achilles und tötete Hektor. Schließlich gelangte ich in dem hölzernen Pferd in die Stadt.

Aus meinem Träumen erwacht, nahm mich Apollo bei der Hand, half mir auf, und wir betraten den Tempel. In strahlendem Licht nahm ich eine Gruppe von ekstatischen Sibyllen wahr. Wir stiegen in eine Gruft hinab, und ich sah in dunklem Licht eine Frau, Mitte fünfzig, gertenschlank und kräftig zugleich. Zu ihren Füßen lag die tote Python. Es war Pythia, die Priesterin. Ohne mich vorher zu fragen, bat Apollo die Priesterin, mir mein Schicksal vorherzusagen. Sie begann, Lorbeerblätter zu kauen, und aus einer Bodenspalte stiegen Schwefeldämpfe auf. Etwas später erzitterte ihr Körper. Gleichzeitig murmelte sie Worte, die ich nicht verstehen konnte. Die frenetischen Bewegungen setzten sich fort, bis sie von Kopf bis Fuß bebte.

Nachdem sie sich gefangen hatte, kam sie auf mich zu und verkündete mir aufgelöst, aber mit kraftvoller Stimme mein Schicksal.

Jordi Rodríguez-Amat
14. Januar 2016

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