MEIN TRAUM VON APHRODITE

Jordi Rodríguez-Amat

 

 

 

Copyright: 2016 Jordi Rodríguez-Amat

Dieser Text ist in der Abteilung für Kultur der Katalanische Regierung registriert worden.

 

 

 

Ich stand vor den Toren des Baptisteriums von Florenz und bewunderte die Reliefs von Lorenzo Ghiberti. Es war ein Tag, an dem der Frühling wiedergeboren wurde. Es war viel heißer, als es zu dieser Zeit sein sollte. Ich hatte in einer italianischen Pizzeria in Via dei Pecori gegessen und war auf dem Weg zur Galleria degli Uffizi. Vorher wollte ich aber noch einmal das Tor des Paradieses sehen.

Auf dem Weg fühlte ich, dass mir jemand folgte. Von Zeit zu Zeit drehte ich mich um, und sah wirklich einen Mann mittleren Alters mit langen Haaren und einer sienabrünierten Tunika, immer etwa zehn oder fünfzehn Meter hinter mir. Seine Kleidung kam mir seltsam vor, weil ich den Eindruck hatte, dass sich die Männer so im 15. Jahrhundert anzogen hatten.

Als ich gerade die Abendkasse erreichte um mein Eintrittsticket zu bezahlen, drängte er sich vor mich und sagte mit durchdringender und dunkler Stimme zu der Verkäuferin: Gib ihm kein Ticket, sondern gib mir zwei. Mir wurde sofort sehr klar, dass sie sich kannten. Am Eingang des Museums fragte er mich, ob ich schon etwas gegessen hätte und als ich ihm mit ja antwortete, sagte er sofort darauf hin: Komm, wir werden in der Cafeteria des Museums einen Kaffee trinken.

Wir setzten uns an einen Tisch in der Nähe eines Fensters, von wo aus wir die berühmte Brunelleschi-Kuppel der Santa Maria del Fiore-Kathedrale sehen konnten.

Dieser Mann, der jetzt vor mir saß, sprach mit mir in einem alten Italienisch, welches ich perfekt verstand. Ich dachte, dass der Mann ursprünglich aus der Toskana stammen müsste. Wir wissen heute daß das moderne Italienisch aus dem zu Beginn der Renaissance in der Toskana gesprochenen Italienisch abgeleitet war. Plötzlich erzählte er mir, dass er Sandro Botticelli heisst und dass er kürzlich das Gemälde mit dem Titel Il Nascimento di Venus fertiggestellt habe. Es überraschte mich nicht, da ich bereits über siebzig war und ein langes Leben hinter mir hatte. Ich hatte in meinem Leben schon viel erlebt und hatte keine Angst vor nichts. Ich wusste nicht ob ich träumte, aber nein, da war der Macchiato-Kaffee, den ich mir gewünscht hatte, und der Cappuccino, den er bestellt hatte, auf dem Tisch. Er erzählte mir auch, dass er 42 Jahre alt war, also folgerte ich, dass wir im Jahr 1485 waren, was mit dem Datum zusammenfiel, an dem er das berühmte Gemälde gemalt hatte.

Bei allem Nachdenken dachte ich, dass die Figur neben mir das Gespenst des großen Malers war und dass es oft im Museum aufgetaucht sein müsste, da niemand über seine Anwesenheit erstaunt war. Wie glücklich war ich, mit ihm sprechen zu können und ohne Scham bat ich ihn, das Bild zu sehen und es mir zu erklären.

Als wir durch die Räume des Museums gingen, gingen wir an La Primavera (Die Allegorie des Frühlings) vorbei. Er ging schnell daran vorbei, ohne es anzusehen. Offensichtlich ging ich mit dem Kopf nach Links und schaute auf da Bild. Sandro bat mich, mich, vor Il Nascimento di Venus auf eine Bank zu sätze.

Nachdenklich, seine Worte messend, sagte er: Ich erinnere mich nicht genau, für wen ich das Gemälde gemalt habe, obwohl es Leute gibt, die darauf hinweisen, dass es für Lorenzo Il Magnifico war. Weißt du, sprach er weiter, belassen wir es dabei.

Zu dieser Zeit gab es Maler, Sagte Sandro, die begannen mit Öl zu malen, aber ich fand, dass die Technik der Verwendung von eihaltigen Gemischen besser zu mir passte, und ich malte es auf Holz. Das Thema wurde von der Kommission vorgegeben und stammte aus der Theogonie des griechischen Dichters Hesiod. Wir Maler konnten nur Aufträge entgegen nehmen.

Ich muss gestehen, dass mich die Emotion von Kopf bis Fuß erschüttert hat, weil es nicht jeden Tag passiert, dass man mit einem der größten Maler des Quattrocento sprechen kann.

Kronos, fuhr Sandro fort, war der Sohn des Gottes Uranus und der Göttin der Erde und als Kronos die Gonaden seines Vaters abgeschnitten hatte und ins Meer warf, erschien Venus, die Göttin der Liebe und der Sexualität, römische Erbin der griechischen Göttin Aphrodite, aus dem Meerschaum. Ich habe das Bild mit Hilfe eines Gleichgewichts mit einer von Aphrodite bestimmten Mittelachse komponiert, erklärte Sandro Boticcelli mit großer Begeisterung. Links sieht man Zephyr eine Windgottheit aus der griechischen Mythologie, und rechts der Venus erscheint eine der Horen, der Göttinnen der Jahreszeiten. Aphrodite wurde in der griechischen Mythologie aus einer Muschel geboren, deshalb habe ich sie auf einer Muschel gemalt. Die Neigung des Körpers mit ihr Leichtigkeit erlaubte es mir, den Rhythmus der Figur zu bestimmen, verstärkt durch das wellige Haar. Der historische Moment zwang mich die Bilder nur mit einer gewissen Erotik darstellen zu können. Die Komposition wird durch eine Pyramide bestimmt, in der alle Linien zu Aphrodites Gesicht zeigen. Obwohl unter dem römischen Namen Venus bekannt, sage ich Aphrodite, da es der ursprüngliche Name in der griechischen Mythologie ist. Wie Sie sehen, fuhr er fort, habe ich einen absoluten Rhythmus aller Formen gesucht und erreicht, ohne einen flachen chromatischen Teil zu hinterlassen.

Während Sandro sprach, saß ich auf der Bank und schlief langsam ein. Fast unbewusst nahm ich die Bewegungen der Menschen und leises Gemurmel in meiner Umgebung wahr. Ich habe keine Ahnung wie lange ich geschlafen habe, aber auf einmal sagte eine süße weibliche Stimme, während sie mir ihre Hand auf meine Schulter legte: wach auf. Ich öffnete meine Augen und vor mir war Aphrodite. Der Raum war völlig leer, nur ein gewisses diffuses Licht beleuchtete den Raum. Wieder dachte ich, ich träume, aber der Traum verblasste, als Aphrodite meine Hand schüttelte und mir half aufzustehen.

Sie bat mich, ihr zu folgen. Sie ging vor mir und ich analysierte und genoss gleichzeitig die Form ihres Körpers. Trotz ihrer Kleidung, konnte ich die Schönheit ihrer Figur erfassen. Mir war nicht bewusst wie, aber plötzlich befanden wir uns auf einer grünen Wiese, eine Art verlorenes Paradieses. Trotz ihrer Tunik die sie bedeckte, schien ihre Gestalt großartig zu sein. Ich konnte nicht aufhören sie anzusehen und zu bewundern. In der Mitte der Wiese stand ein Baum voller Früchte. Sie bat mich, mich dem Baum nähern und sagte: Du kannst so viele Früchte essen wie du willst, sie werden dir den Wunsch offenbaren mich zu besitzen, und je mehr du isst, desto mehr wirst du mich sexuell besitzen wollen. Unter anderem kann ich mich daran erinnern, dass sie das sexuelle Verlangen eines Mannes nur durch einen Blick in ihre Augen erwecken konnte.

Die Götter, angezogen von ihrer großen Schönheit, strebten danach sie zu erfreuen und es gelang vielen. Sie gab zu, dass ihre beste Eigenschaft darin bestand Männer zu befriedigen und unter anderem Kinder von Göttern wie Hermes, Dionysos und Ares zu haben. Ich hörte ihr zu, aber durch ihrer Schönheit war ich nicht in der Lage meine Augen von ihre Körper abzuwenden.

So gross war die Anziehungskraft die sie auf mich hatte, dass ich sie nach ihren sexuellen Freuden fragen musste. Zuallererst, sagte sie, werde ich dich in allen Formen der körperlichen Liebe unterweisen. In diesem Moment dachte ich an den indischen Weisen Vatsayayana, der vor zweitausend Jahren am Ufer des Flusses Gangues das berühmte Kama Sutra schrieb, und in dem er unter anderem die Vierundsechzig Möglichkeiten der erotischen Liebe erklärt.

Die praktische Erfahrung, so Aphrodite weiter, führt zur Perfektion, obwohl es Menschen gibt die Meister der sexuellen Liebe sind, ohne diese Wissenschaft zu kennen oder darüber nachgedacht zu haben. Einige haben mit Hilfe eines Ausbilders gelernt, der unter anderem eine Frau sein kann, die mit diesen Praktiken vertraut ist. Es kann auch mit einer Tante, vorzugsweise der Schwester der Mutter oder, neben vielen anderen, einer schöne Nachbahrin mit langjähriger Erfahrung in diesen Angelegenheiten erreicht werden.

Die Frau, fuhr Aphrodite fort, muss eine Lehrerin in anderen Künsten sein, um den Mann in dieser Wissenschaft genießen zu können. Sie muss singen, und dazu Musikinstrumente spielen können und wissen wie man einen Raum mit Blumen und Parfum dekoriert um erhabene Zustände zulassen.

Sie fuhr fort mich zu unterrichten und sagte: Versuchen Sie, für die Frau empfänglich sein um ihre Sinnlichkeit zu erregen. Wenn die Frau Erfahrung hat, zum Beispiel eine zwei- oder dreimal verheiratete Frau, seien Sie vorsichtig bevor Sie sie anfassen. Wenn Sie diesen Regeln folgen, können Sie sich sogar verlieben und Ihre Freuden werden großartig sein. Versuchen Sie ihre Gedanken und Wünsche zu kennen und berühren Sie sie immer mit Zärtlichkeit.

Ich hörte ihr zu, weil ich von ihr lernen wollte, aber die Anziehungskraft, die sie meinen Körper ausübte, hinderte mich daran, mich auf ihre Worte konzentrieren zu können. Plötzlich kündigte die Stimme eines Museumswächters an, dass sie jetzt die Türen schließen würden, und ich wachte enttäuscht auf, ohne die sexuellen Freuden von Aphrodite genossen haben zu können.

Juni 2018

Jordi Rodríguez-Amat

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